Ein Polizist aus Unterfranken ist vom Amtsgericht Alzenau zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er nach einem mutmaßlichen Messerangriff keine Ermittlungen eingeleitet hatte. Fünf Monate später tötete der Verdächtige zwei Menschen in Aschaffenburg. Der Fall wirft Fragen nach Fehlern innerhalb der Polizei auf.
Der 29 Jahre alte Beamte wurde wegen Strafvereitelung im Amt in einem minder schweren Fall schuldig gesprochen. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre. Außerdem muss der Polizist 3.000 Euro an eine Hilfsorganisation zahlen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Richter Torsten Kemmerer sprach von einem gravierenden Pflichtversäumnis: „Wir haben eine Ermittlung, die ist gleich null.“ Der Angeklagte habe „nichts gemacht, gar nichts“.
Ein Polizist müsse Straftaten aufklären, auch wenn es sich um schwierige Fälle handle, so Kemmerer weiter.
Im August 2024 soll in einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau (Landkreis Aschaffenburg) ein Mann seine Freundin mit einem Messer angegriffen haben. Der Beamte, der als Sachbearbeiter zuständig war, leitete jedoch kein Ermittlungsverfahren ein. Der mutmaßliche Täter, ein afghanischer Flüchtling, konnte daraufhin weiter unbehelligt in der Unterkunft leben.
Am 22. Januar 2025 kam es dann in Aschaffenburg zu einer tödlichen Messerattacke: Der Mann soll im Park Schöntal ein Kleinkind und einen Mann getötet haben.
Die Staatsanwaltschaft hatte für den Polizisten eine Haftstrafe von eineinhalb Jahren gefordert. Oberstaatsanwalt Christoph Gillot warf dem Beamten vor, trotz eindeutiger Hinweise keine Ermittlungen eingeleitet zu haben.
„Wir wissen es von den Spuren, vom Video und von den Angaben der Zeugen“, sagte Gillot.
Der Beamte habe die Staatsanwaltschaft nicht informiert – das sei vollendete Strafvereitelung im Amt. Ob die späteren Tötungen in Aschaffenburg durch rechtzeitige Ermittlungen hätten verhindert werden können, sei unklar – für das Verfahren aber unerheblich.
Die Verteidigung forderte einen Freispruch. Es sei nicht bewiesen, dass der Polizist von einem Messer oder den Verletzungen der Frau gewusst habe. Auch eine gefährliche Körperverletzung sei für ihn nicht eindeutig erkennbar gewesen.
Der 28-jährige Afghane, der im Januar zwei Menschen tötete, ist laut einem Gutachten paranoid schizophren und war bei der Tat vermutlich schuldunfähig. Er steht derzeit wegen Mordes und anderer Vorwürfe vor dem Landgericht Aschaffenburg.
Die Staatsanwaltschaft fordert seine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung.
Warum der verurteilte Beamte nach dem Vorfall in Alzenau nicht ermittelte, blieb ungeklärt – der Angeklagte schwieg im Prozess. Deutlich wurde jedoch, dass es Kommunikationsprobleme in der Polizeiinspektion gab. Vier eingesetzte Beamte sollen sich nicht ausreichend ausgetauscht haben. Nur einer dokumentierte die Verletzungen des Opfers mit dem Handy – eine ordentliche Vernehmung der Frau oder von Zeugen erfolgte nicht. Richter Kemmerer sprach von „schlampiger Arbeit“ dieser vier Polizisten. Während die Verfahren gegen drei von ihnen eingestellt wurden, wurde nur der 29-Jährige angeklagt.
Ob der verurteilte Polizist nun ein Disziplinarverfahren erwarten muss, ist derzeit unklar. Das Polizeipräsidium Unterfranken erklärte, mögliche Dienstpflichtverletzungen würden geprüft und gegebenenfalls sanktioniert. Nach eigenen Angaben ist der Mann weiter im Dienst – bisher ohne disziplinarische Maßnahmen.