Sanfte Hügel, endlose Weite und friedlich grasende Weidetiere – das ist die Rhön. Doch die Tiere hier sind mehr als nur Nutztiere, sie halten die Landschaft offen und sorgen dafür, dass die artenreichen Wiesen erhalten bleiben. Jetzt, im Herbst, endet die Weidesaison und die Herden kehren ins Tal zurück – ein besonderes Ereignis, das die enge Verbindung von Mensch, Tier und Natur zeigt.
Umgeben von nebligen Hügeln und herbstlich bunten Bäumen strömt eine große Schafsherde mit rund 1.100 Tieren den grünen Hügel hinunter. Wie eine Lawine aus weißer Wolle und schwarzen Köpfen sorgt das beeindruckende Schauspiel für Staunen bei den etwa 4.000 Zuschauerinnen und Zuschauern, die ins kleine Rhöndorf Ginolfs gekommen sind. Trotz seiner nur rund 350 Einwohner hat das Dorf mit dem 13. Weideabtrieb am vergangenen Wochenende wieder einen wahren Anziehungspunkt geschaffen. Neben den Schafsherden kehrten auch die gelben Frankenviehkühe, Ziegen und Alpakas von den Weiden zurück in den Stall.
„Also alle Tiere, die hier sind, bis auf die Alpaka, die sind mehr Kuscheltiere und Wandertiere. Alle anderen Tiere sind dafür da, die Rhön frei zu halten. Das Land der offenen Fernen. Da geht es darum, Landschaftspflege zu betreiben, Verbuschung zurückzudrängen und einfach zu schauen, dass die offenen Flächen auch offen bleiben. Natürlich haben die Tiere auch Nebenprodukte wie Fleisch, Wolle oder Milch. Aber alle Tiere hier sind jetzt nicht die Überproduzenten von Fleisch, Wolle oder Milch, sondern ihre Hauptaufgabe ist tatsächlich der Rasenmäher der Rhön und dementsprechend die Flächen frei zu halten.“, so Sebastian Schrenk, der den Weideabtrieb moderiert hat.
Die Alpakas schaffen es an diesem Tag nicht ganz bis nach unten; sie sind durch das große Publikum zu aufgeregt. Die Kühe, Ziegen und Schafe hingegen können auch nach dem Abtrieb auf dem Festgelände bestaunt werden. Ziel des Festes ist es, den Menschen die Tiere, Produkte und Lebensweise näherzubringen. Dafür gibt es unter anderem einen Bauernmarkt – ausschließlich mit Produkten aus Ginolfs. Im Festzelt und an den Essensständen davor werden außerdem köstliche Rhöner Schmankerl vom Lamm und Weiderind angeboten. Trotz der festlichen Stimmung werden jedoch auch die Herausforderungen deutlich, mit denen die Landwirte konfrontiert sind, insbesondere die Ausbreitung des Wolfs:
„Ja, die Landwirte sind natürlich frustriert. Ich meine, natürlich gibt es immer wieder Ersatz für gerissene Tiere, aber es macht einfach keinen Spaß, wenn man früh hoch kommt und sieht drei oder vier gerissene Tiere und da, ja, das nimmt einem ein bisschen den Antrieb. Und die Meinung unter den Landwirten ist tatsächlich sehr geteilt. Manche sagen sofort abschießen, manche sagen muss es andere Möglichkeiten geben. Wir versuchen einfach immer im Austausch zu bleiben, dann tatsächlich auch mit der Politik oder mit anderen Verbänden, um eine Lösung zu finden. Und uns geht es nicht darum, jeden Wolf einfach abzuschießen, sondern genau zu gucken Wo sind auffällige Wölfe? Muss man da aktiv werden? Und dann aber bitte auch wirklich aktiv werden.“, fordert Sebastian Schrenk.
Immer wieder seien auffällige Wölfe in die Herden gesprungen, auch trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen wie höheren Zäunen mit mehr Spannung, Kameras oder Herdenschutzhunden. Wölfe, die zu zweit jagen, hätten zudem Strategien entwickelt, um die Herde so nervös zu machen, dass die Schafe ausbrechen und dem Wolf so ungeschützt ausgeliefert sind.
„Die Auflagen werden höher, die steuerlichen Aspekte, die ganze Bürokratie nimmt zu. Dann haben wir noch andere Einflussfaktoren von außen. Ich sag nur Stichpunkte Wolf, Krankheiten, Dürreperioden. All das macht es natürlich schwieriger. Und deswegen sind wir eigentlich froh, dass bei uns noch so viele Betriebe gibt und dass die fast alle auch gesichert sind. Da gibt es Nachfolger oder da gibt es Leute, die das Ganze übernehmen. Und so soll es auch sein. So soll es weitergehen. Weil ohne die ganzen Herden wird man es nicht schaffen, die Rhön so zu behalten, wie sie es.“, erzählt uns Sebastian Schrenk.
Der Weideabtrieb in Ginolfs ist ein lebendiges Beispiel für die Tradition und die Herausforderungen der Landwirtschaft in der Rhön. Die Veranstaltung bringt nicht nur die Tiere und ihre Halter zusammen, sondern fördert auch den Austausch zwischen Landwirten und Besuchern. Während die Tiere in ihre Ställe zurückkehren, bleibt die Diskussion über die Zukunft der Weidewirtschaft und den Umgang mit den Herausforderungen wie der Wolfpopulation weiterhin aktuell. Im warmen Stall sind die Tiere aber vorerst vor dem Wintereinbruch und dem Wolf in Sicherheit.