Es war der Beginn von Gewalt, Vertreibung und Vernichtung: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen – auch in Würzburg. 87 Jahre später erinnert die Stadt an die Opfer der Pogromnacht. Doch das Gedenken steht auch in diesem Jahr unter einem düsteren Vorzeichen. Denn seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 erlebt Deutschland eine neue Welle von Antisemitismus – Hass, der längst wieder sichtbar ist, auch mitten unter uns.
Es ist ein stiller, ja fast unscheinbarer Platz im Herzen der Stadt – und doch trägt er die Spuren und Geschichten der Vergangenheit in sich. Hier am Platz der ehemaligen Synagoge in Würzburg gedenken auch in diesem Jahr Stadt, Regierung und die Israelitische Kultusgemeinde den Opfern der Pogromnacht – jenen, deren Leben durch puren Hass zerstört und gar ausgelöscht wurde.
„Ich denke, es ist ganz, ganz wichtig, diese Geschichte zu kennen und sich anzuschauen, was daraus geworden ist. Irgendwann hat es angefangen, dass jemand jemand anderen schlecht geredet hat, dass bestimmte demokratische Rechte eingeschränkt wurden. Dann ist es mit Gewalt weitergegangen und mit einem Massenmord geendet. Und die Zerstörung unserer Stadt war ja auch ein Ergebnis dieser ganzen Ideologie. Und ich möchte jetzt nicht sagen, dass wir heute den Nationalsozialismus unter uns haben. Aber der Geist der Ausgrenzung und das Bekämpfen der Demokratie ist doch da und da müssen wir gemeinsam aktiv werden.“, so Martin Heilig, OBerbürgermeister der Stadt Würzburg.
87 Jahre liegen zwischen damals und heute – und doch scheint die Geschichte näher denn je. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben antisemitische Vorfälle in Deutschland stark zugenommen. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus wurden im vergangenen Jahr über 8.600 Fälle registriert – 77 Prozent mehr als im Vorjahr. Gerade deshalb fordert der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster eindringlich sich nicht wie viele Bürgerinnen und Bürger in der Pogromnacht abzuwenden, sondern hinzusehen.
„Es bedarf gar nicht so viel Mut. Fangen wir doch im Kleinen an, im Bekanntenkreis, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Ich habe als Beispiel gesagt, wenn ein antisemitischer oder auch fremdenfeindlicher Witz erzählt wird. Wenn man nicht lacht, ich glaube, das gibt dem anderen schon ein bisschen zu denken.“, so Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
In ihren Reden betonten Dr. Josef Schuster, Martin Heilig und auch Regierungspräsidentin Dr. Susanne Weizendörfer, wie wichtig das Bewahren der Erinnerung für kommende Generationen bleibt. So zeige sich die Würzburger Erinnerungskultur nicht nur an diesem Ort, sondern auch mit dem DenkOrt Deportationen und den Stolpersteinen. Einer dieser Steine erinnert in der Bismarckstraße an Alfred Katzmann. Er wurde in der Pogromnacht Opfer eines Überfalls durch die SA. Erst vor wenigen Monaten waren seine Nachfahren aus den USA erstmals in Würzburg. Oberbürgermeister Heilig empfing sie im Rathaus und betonte ihre Reise in seiner heutigen Rede als eine der emotionalsten Begegnungen des Jahres.
„Mich persönlich hat es sehr, sehr ergriffen, muss ich sagen, weil dieser Massenmord für uns ja so abstrakt geworden ist und dann plötzlich das festzumachen, das zu erleben, an einer Person, macht einfach nochmal deutlich: hier geht es um Menschlichkeit. Hier geht es um Dinge, die könnten dir und mir auch passieren und gerade deswegen müssen wir diese Art von Erinnerungskultur unbedingt auch erhalten.“, so Heilig.
Gerade in Zeiten, in denen die Lage im Nahen Osten erneut Spannungen und Hass schürt, mahnt Dr. Josef Schuster, zwischen politischer Kritik und blankem Antisemitismus zu unterscheiden.
„Kritik an Entscheidungen der israelischen Regierung sind absolut legitim. Das Existenzrecht des Staates Israel in Frage zu stellen, ist dagegen nicht mehr legitim. Und Ereignisse in Israel, auf Juden in der Welt, Juden in Deutschland, Juden in Würzburg zu projizieren, in keiner Weise akzeptabel.“, so Schuster.
Rabbiner Shlomo Zelig Avrasin sprach zum Ende der Gedenkfeier das Kaddisch-Gebet – das traditionelle jüdische Totengebet. Die Worte hallten über den Platz, getragen von der Stille. Ein Moment, der verdeutlicht: Gedenken bedeutet nicht nur Rückblick, sondern Verantwortung – heute und in Zukunft. Denn das historische nsdg Ereignis der Pogromnacht und die jüngsten Entwicklungen zeigen: Erinnern heißt auch handeln.