Auf den Tag genau vier Wochen ist es nun her, dass das diesjährige Mozartfest mit dem feierlichen Auftakt im Kaisersaal der Residenz eröffnet worden ist. Seitdem gab es einen bunten Strauß aus klassischen Konzerten, spannenden Gesprächsformaten und experimentellen Formaten. Eines dieser eher außergewöhnlichen Konzepte war in diesem Jahr wieder das Freispiel, bei dem die Besucherinnen und Besucher zum Endspurt des Festivals eingeladen waren, ihre Sinne zu schärfen und Perspektiven zu hinterfragen.
Es ist ein Konzert, das mit Erwartungen spielt. Ein Abend, der Sehen und Hören neu verhandelt. GESEHEN_NICHT GESEHEN – ist eine Konzertperformance der Stipendiatinnen und Stipendiaten es MozartLabors 2024.
„In diesen viereinhalb Tagen MozartLabor wurde ein grobes Konzept erarbeitet. Das wurde dann auch im MozartLabor vorgestellt. Das heißt auch unter Umständen vor Publikum. Also das MozartLabor ist ja auch öffentlich, das heißt auch, Personen, die im MozartLabor letztes Jahr dabei waren, hatten da sozusagen schon mal den Eindruck von der Idee und konnten jetzt prüfen, wie sich das anfühlt und wie es dann tatsächlich auch umgesetzt wurde. Und in der Zwischenzeit, also zwischen MozartLabor 2024 und der Aufführung heute liegt natürlich auch noch mal ein weiter Weg mit Konkretisierung, Detailplanung, Ideen verwerfen, technische Realisierbarkeit prüfen. Also das lag alles in den Händen der jungen Künstlerinnen und Künstler. Und das ist schon eine große Leistung.“, erzählt uns Katharina Strein, Geschäftsführerin des Mozarfests.
Das Konzert beginnt im Halbdunkel in der Festscheune des Gut Wöllried. Auf einer Leinwand erscheint Mozart – animiert, und fragmentiert verwandelt er sich Stück für Stück zu einer Frau am Klavier. Als dann das Licht wechselt, zeichnet sich hinter der Leinwand eine Gestalt ab: Eine Pianistin, nur als Schatten sichtbar, spielt ein zartes Klavierstück. Nach und nach kommen weitere Musikerinnen und Musiker dazu: Sopranistin, Streichquartett – sie alle stehen hinter der Idee des Freispiels.
„Das klingt vielleicht erstmal banal, aber wir haben wirklich damit angefangen, uns gegenseitig kennenzulernen. Und wir sind dann ganz schnell drauf gekommen auf so Stereotypen, die es vielleicht vom klassischen Musiker:innen gibt oder generell von Musiker:innen, dass alle total gern im Rampenlicht stehen. Und dann haben wir angefangen, uns so über unsere eigenen Geschichten zu unterhalten. Und viele von uns haben dann gesagt: Eigentlich muss ich gar nicht im Rampenlicht stehen. Es geht mir vielmehr um die Musik. Und dann ist dieses ganze Thema aufgekommen Wer wird gesehen, wer nicht gesehen? Und dann haben wir das so weitergeführt und gesagt: Wie kann man das vielleicht gesellschaftlich weiterdenken? Welche Komponistinnen werden aufgeführt, welche nicht? Und genau so sind wir da rangegangen.“, so Hannah Otto, Stipendiatin und Sopranistin.
Für den zweiten Akt wird das Publikum dann in Gruppen eingeteilt, in WAS, SIEHST und DU. Jede Gruppe hört am Ende das selbe – und überhört das selbe. Sieht das selbe – oder eben nicht. Da sind zum Beispiel zwei Bildschirme, auf denen pulsierend animierte Bildwelten flackern, dazu spielt elektronische Musik. Hier konkurrieren das Gesehene und das Gehörte – Reizüberflutung inklusive. Im nächsten Raum herrscht dann völliger Kontrast: Die Zuhörerinnen und Zuhörer sind eingeladen, Schlafmasken zu tragen. Was den Sinnen bleibt, ist alleine der Klang von Sopran und Gitarre. Die Waldbühne wiederum wird umrahmt von sonnenbeschienen großen Bäumen. Der Wind weht leicht um die Beine der in Liegestühlen sitzenden Zuhörerinnen und Zuhörer. Zart vermischen sich Vogelzwitschern und die Töne des Streichquartetts und sorgen für ein musikalisches Innehalten.
„Ich glaube, es ist einfach extrem spannend, wenn man Diversität generell im Leben sucht und auch in der Musikwelt. Und nur weil man Dinge vielleicht nicht so oft sieht oder nicht so kennt, heißt es eigentlich nicht, dass sie nicht gut funktionieren. Man braucht manchmal so diesen Stepp drüber, dass man sich traut, was Neues zu machen, weil natürlich das Risiko dann auch größer ist, dass jemand da nicht abgeholt wird oder vielleicht Erwartungen nicht erfüllt werden. Aber ich glaube, es ist ganz gut, ja, es ist ein gutes Zeichen, wie unsere Gesellschaft auch funktioniert und wie wir überhaupt die Welt vielleicht auch besser funktionieren würde, wenn man einfach freier auf neue Sachen zugeht.“, so Sophie Trobos, Projektleiterin und Geigerin.
Der dritte Akt verbindet dann die Gegensätze: hier trifft lateinamerikanische Energie auf fragmentierte Zitate von Kafka. Immer wieder folgt der Wechsel, wie bei einem musikalischen Pendel. Und das große Finale? Das macht natürlich Mozart. Schritt für Schritt tritt nun das gesamte Team für ein kollektives Finale hinter der Schattenwand, bis die letzten Noten verklingen. Was bleibt ist vielleicht keine klar erzählte Geschichte, stattdessen aber eine veränderte Wahrnehmung. Ein leises Gefühl für das, was zwischen dem Gesehenen und dem Ungesehenen liegt.