Die Zahl der Abschiebungen steigt: Hochgerechnet auf das gesamte Jahr könnten es in diesem Jahr mehr als 24.000 Fälle werden – und damit deutlich mehr als in den Vorjahren. Immer wieder trifft es auch gut integrierte junge Menschen, die sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen wollen. Vereine, potentielle Arbeitgeber und zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer sind dabei meist machtlos – so wie aktuell in Veitshöchheim:
Zwischen pastellfarbener Dekoration, frisch gebackenen Törtchen und liebevoll dekorierten Eisbechern hat Jaafar wie er selbst sagt seine zweite Familie gefunden. Hier bei Eis Stephan in Veitshöchheim ist er endlich angekommen. Der 18-jährige Syrer ist alleine nach Deutschland geflohen, hat auf seiner Reise viel auf sich nehmen müssen. In Veitshöchheim angekommen kommt der Kurde bei seinem Onkel unter und fängt an, in der Konditorei und Eisdiele von Theresa Götz zu arbeiten. Doch nur wenige Tage, bevor er hier eine Ausbildung beginnen kann, der Schock, der das Team zu Tränen rührt: Jaafar soll abgeschoben werden
„Er kann wirklich noch kein gutes Deutsch, aber er ist wirklich ein ganz Liebevoller, Hilfsbereiter. Also ich habe um die 30 Mitarbeiter und er ist wirklich gleich so ins Herz geschlossen worden. Also das hat man selten bei anderen Mitarbeitern, sondern er ist wirklich lebensfroh. Und auch noch nach der Nachricht kann man sagen, ist er trotzdem noch lebensfroh und ist motiviert irgendwie dafür zu kämpfen.“, beschreibt ihn Theresa Götz, Inhaberin von „Eis Stephan“.
Am heutigen Freitag ist Jaafars vorerst letzter Arbeitstag. Weil er im Oktober 2024 formal „illegal“ eingereist ist, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entschieden, dass er zurück nach Griechenland muss. Dem Land, in dem Jaafar als Geflüchteter erstmals auf europäischem Boden registriert wurde.
„[…] Die Prüfung durch das Bayerische Innenministerium hat ergeben, dass im konkreten Fall von Jaafar keine rechtlichen Spielräume für eine aufenthaltsrechtliche Ausnahmeentscheidung bestehen. […]“, so Hülya Düber (CSU), MdB und Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Der CSU-Landtagsabgeordneter Björn Jungbauer rät zu einer freiwilligen Ausreise, um einer zwangsweisen Abschiebung zuvorzukommen. In Griechenland könnte Jaafar dann bei der deutschen Botschaft ein Ausbildungsvisum beantragen, erklärt er uns telefonisch.
Da der Beruf des Konditoreifachverkäufers immer seltener werde, stehen die Chancen für eine Rückkehr nicht schlecht – doch der Prozess könnte bis ins kommende Jahr dauern.
„Ich habe tatsächlich sehr lang jemanden gesucht für diesen Job und keinen gefunden. Und jetzt findet man jemanden, der wirklich auch Lust daran hat, dem die Arbeit Spaß macht, der lernwillig ist, der das gern gemacht hätte. Und jetzt sagen wir okay, wir schieben ihn ab, nur weil er bei der Einreise was falsch gemacht hat im Endeffekt. Das ist für mich völlig unverständlich.“, so Götz.
Für das gesamte Team und für Jaafar selbst, ist die drohende Abschiebung ein sehr emotionales Thema. Immerhin gelten die Zustände in vielen griechischen Flüchtlingslagern seit Jahren als prekär:
„In Griechenland bin ich alleine. Keine Familie. Aber hier habe ich meinen Onkel und meine Tante auch. Und auch Eis Stephan, meine zweite Familie.“, berichtet Jaafar Hassiko von seinen Befürchtungen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel sowie die Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina empfinden die drohende Abschiebung gut integrierter junger Geflüchteter als ungerecht, integrationspolitisch schädlich und eine Verschwendung von Chancen für Gesellschaft und Arbeitsmarkt.
„[…] Ich kritisiere deutlich, dass ausgerechnet die gesetzestreuen, engagierten und zuverlässigen Einwanderinnen und Einwanderer abgeschoben werden sollen, offenbar weil sie besser greifbar sind. So lassen sich die Abschiebungszahlen öffentlichkeitswirksam erhöhen. […]“, so Bernd Rützel (SPD), MdB und Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales.
„[…] Ich plädiere für die Möglichkeit zum „Spurwechsel“, also vom Asylverfahren zur Möglichkeit für eine Arbeit oder einen Arbeitsplatz bleiben zu können. […]“, fordert Kerstin Celina (B’90/Grünen), MdL und Fraktionssprecherin Sozialpolitik, Inklusion und psychische Gesundheit.
Und Rützel ergänzt: „[…] Ich halte es außerdem für dringend erforderlich, die europäische Einigung auf eine Reform von GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem), die nach zähen Verhandlungen 2024 gelungen war und z.B. Klarheit in den sog. Dublin-Verfahren schaffen soll, in deutsches Recht umzusetzen. SPD und CDU/CSU haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass das bis Jahresende geschehen soll. […]
Auch Jaafars Kollege Abdu, der selbst als Geflüchteter nach Deutschland kam und heute erfolgreich seine Lehre abgeschlossen hat, fühlt sich machtlos. Er und das gesamte Team von Eis Stephan wollen aber nicht so einfach aufgeben. Die einzige Hoffnung ist und bleibt aber wohl das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts, dass in einigen Wochen erwartet wird. Heute muss sich das Team dennoch von Jaafar verabschieden. Hinter der bunten Kulisse der Eisdiele spielt sich damit ein stilles Drama ab – eines, das zeigt, wie nah Hoffnung und Verzweiflung beieinanderliegen.