Mit großer Trauer ist im Bayerischen Landtag die Nachricht vom Tode der ehemaligen Landtagspräsidentin Barbara Stamm aufgenommen worden. Barbara Stamm war von 1976 bis 2018 Mitglied des Bayerischen Landtags und von 2008 bis 2018 die erste Frau an der Spitze des hohen Hauses. Nach längerer Krankheit ist Stamm am heutigen Mittwoch im Alter von 77 Jahren in ihrer Heimatstadt Würzburg verstorben.
Barbara Stamm war eine große Kämpferin: für die Schwächsten in der Gesellschaft, für das Soziale in der CSU, für ihre Karriere in der Partei nach einer Krebserkrankung – und für mehr Macht für Frauen auf allen Führungsebenen der CSU. Landtagspräsidentin Ilse Aigner: „Ich bin zutiefst getroffen von der Nachricht vom Tod meiner Amtsvorgängerin. Wir verlieren mit Barbara Stamm eine über alle Parteigrenzen beliebte und hochgeschätzte Politikerin, die sich jahrzehntelang vor allem für die Ärmeren und Schwächeren in unserer Gesellschaft einsetzte und ihnen eine Stimme gab. Den Antrieb für ihr herausragendes Engagement – gerade auch für Kinder und behinderte Bürgerinnen und Bürger – gab ihr auch ihre eigene Geschichte. Als erste Frau an der Spitze des Bayerischen Landtags hat sich Barbara Stamm großen Respekt und hohes Ansehen erworben. Wir verlieren mit ihr ein großes Vorbild für Frauen in der Politik, eine leidenschaftliche Kämpferin für die Schwachen in der Gesellschaft und eine überzeugte Demokratin.“
Oberbürgermeister Christian Schuchardt zeigt sich von der traurigen Nachricht persönlich sehr betroffen und bekundet dem Ehemann und der Familie der engagierten Würzburgerin sein tief empfundenes Beileid: „Ich bin von Herzen dankbar, Barbara Stamm immer an der Seite Würzburgs gewusst zu haben. Wir verlieren mit ihr eine große und Würzburg prägende Persönlichkeit, eine Konstante, die sich immer für ihre Heimatstadt und insbesondere für die Schwachen in der Gesellschaft stark gemacht hat. Ich persönlich verliere eine enge und vertraute Wegbegleiterin.“ Für Würzburg habe Barbara Stamm als Abgeordnete, Staatssekretärin, Ministerin, Landtagsvizepräsidentin und -präsidentin ihre Kompetenzen und ihren Einfluss genutzt, um die Interessen der Stadt und der Region in München zur Geltung zu bringen: „Wo sie nicht selbst entscheiden konnte, leistete sie Überzeugungsarbeit, schmiedete Allianzen, überwand Hemmnisse, indem sie die Beteiligten an einen Tisch brachte. So gestaltete sie fast ein halbes Jahrhundert lang die Geschicke der Stadt Würzburg mit. Sie war für uns eine zuverlässige Ansprechpartnerin und couragierte, kämpferische Helferin“, so Schuchardt. „Ihr Tod ist ein Einschnitt für Würzburg.“ Die Stadt Würzburg legt ein Kondolenzbuch für die Ehrenbürgerin aus ab Mittwoch, 05. Oktober, 12 Uhr vor dem Ratssaal.
Geprägt hat sie ihre schwere Kindheit, wechselnd in einer Pflegefamilie, im Waisenhaus und bei ihrer gehörlosen Mutter – mit einem alkoholkranken Stiefvater. Glücklicherweise habe es ihr nicht geschadet, auch weil es immer Menschen gegeben habe, die sie nie aufgegeben hätten, beispielsweise eine Klosterschwester im Heim und eine Religionslehrerin, schilderte Stamm selbst. Ein Kredit ermöglichte Barbara Stamm in den 1960er Jahren ihre Ausbildung zur Erzieherin. Mit ihrem Mann hatte sie drei Kinder.
Barbara Stamm gehörte dem Bayerischen Landtag 42 Jahre lang an, war als Staatssekretärin und Staatsministerin über dreizehn Jahre hinweg ununterbrochen Mitglied der Bayerischen Staatsregierung und von 1998 bis 2001 Stellvertretende Ministerpräsidentin des Freistaats Bayern. Daneben engagierte sich Stamm in zahlreichen ehrenamtlichen Funktionen für das Allgemeinwohl. Sie galt als „soziales Gewissen“ der CSU. Zu Ehren von Barbara Stamm ordnete der Ministerpräsident für den morgigen Donnerstag sowie für den Tag der Beisetzung die Trauerbeflaggung aller staatlichen Dienstgebäude in Bayern an.
Barbara Stamm wurde 1944 in Bad Mergentheim geboren. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Erzieherin und übte den Beruf bis 1978 aus, zuletzt als Heimleiterin im Schifferkinderheim. 1969 trat sie in die CSU ein und bekleidete diverse Vorstandsämter auf Kreis-, Bezirks- und Landesverbandsebene. Stamm war von 1972 bis 1987 Mitglied des Würzburger Stadtrats. Mit Kompetenz und Leidenschaft widmete sie sich vor allem den sozialen Belangen der Stadt. Sie setzte sich für die Einrichtung der städtischen Gleichstellungsstelle, des ersten städtischen Kindergartens und des ersten Frauenhauses sowie die Einführung eines kommunalen Erziehungsgeldes ein. 1990 trat Stamm für die CSU als Oberbürgermeister-Kandidatin für Würzburg an, sie erreichte im ersten Wahlgang den dritten Platz und zog nicht in die Stichwahl ein. Barbara Stamm trug entscheidend dazu bei, dass die Stadt Würzburg immer wieder eine sozialpolitische Vorreiterrolle übernehmen konnte, beispielsweise mit Modellversuchen zur Tagesfamilienpflege oder zur Integration von Aussiedlern. Dass die Ganztagsschule am Heuchelhof zunächst als Schulversuch errichtet und dann dauerhaft etabliert werden konnte, ist wesentlich auf ihre Unterstützung zurückzuführen. Auch für die Entlastung der Stadt als Schulträger machte sie sich stark; so setzte sie sich beim Kultusministerium nachdrücklich für die Übernahme des Mozart- und Schönborn-Gymnasiums durch die evangelische Kirche ein. Großprojekte, bei denen sie der Stadt hilfreich zur Seite stand, sind der Ausbau der A3, der barrierefreie Umbau des Hauptbahnhofs, die Ausrichtung der Landesgartenschau 2018 und die Errichtung des Museums für Franken. Auch für die Julius-Maximilians-Universität leistete sie wichtige Weichenstellungen und wurde 2019 zur Ehrensenatorin ernannt.
1976 zog Barbara Stamm als Nachrückerin über die Liste auch in den Bayerischen Landtag ein, dem sie insgesamt 42 Jahre bis 2018 angehörte. Zehn Mal errang sie über die Liste ein Abgeordnetenmandat, immer mit herausragenden Stimmergebnissen. Sie wurde zu einer der dienstältesten Landtagsabgeordneten Deutschlands. Im Landtag arbeitete sie zunächst im Umweltausschuss, später im Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik. 1987 wurde sie Staatssekretärin und 1994 Staatsministerin im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit. Zu ihren zentralen Anliegen als Vorsitzende der Familienkommission der CSU von 1989 bis 2000 und als Frauenbeauftragte der Staatsregierung von 1993 bis 2001 gehörte die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie leitete das Ministerium bis Januar 2001 und war ab Oktober 1998 zugleich Stellvertreterin des Bayerischen Ministerpräsidenten. Als Staatsministerin und stellvertretende CSU-Parteivorsitzende war Barbara Stamm maßgeblich an wichtigen sozialpolitischen Weichenstellungen auch auf Bundesebene beteiligt. Auf Landesebene wurde sie 2003 Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags und schrieb als erste Frau Geschichte mit der Wahl zur Präsidentin des Bayerischen Landtags am 20. Oktober 2008. 2013 wurde sie wiedergewählt und blieb Landtagspräsidentin bis 2018. Laut der im Januar 2018 veröffentlichten BayernTrend-Umfrage war sie die beliebteste Politikerin Bayerns.
Stamm war in zahlreichen Ehrenämtern aktiv, u.a. als Vizepräsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes (1989-1999), als stellvertretende Vorsitzende des Diözesancaritasverbandes (2022-2016) und als Vorsitzende des Landesverbandes Bayern der Lebenshilfe (ab 2001). Als langjährige Rumänienbeauftragte der Staatsregierung und Kuratoriumsvorsitzende der von ihr initiierten Bayerischen Kinderhilfe Rumänien trug sie wesentlich dazu bei, die Lebensbedingungen insbesondere behinderter rumänischer Kinder zu verbessern. Für diesen Einsatz erhielt sie die höchste Auszeichnung der Republik Rumänien. Von 2006 bis Oktober 2014 war Stamm Vizepräsidentin des Familienbund der Katholiken. Sie unterstützte zahlreiche soziale Initiativen und war Aufsichtsratsmitglied zahlreicher sozialer Einrichtungen, zum Beispiel Ehrenpräsidentin der Stiftung „Forschung hilft“ des Vereins „Hilfe im Kampf gegen den Krebs“. Barbara Stamm war u.a. Trägerin des Bayerischen Verdienstordens, des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und der Bayerische Verfassungsmedaille in Gold. Die Stadt Würzburg würdigte ihre herausragenden Verdienste um das Wohl ihrer Heimatstadt 2010 mit der Verleihung des Ehrenrings und der Ehrenbürgerwürde im Jahr 2019.